Eiszeit

Je wärmer es wird, desto mehr lechzen die Mäuler nach Abkühlung. Von morgens bis abends fahren regelmäßig drei Eisverkäufer mit ihren rollenden Eisständen hier am Binzer Ostseestrand entlang und buhlen mit ihrem überteuerten abgepackten Eis um die Gunst all derer, die zu faul sind, sich oberhalb des Sandstrandes in der Promenade zu deutlich günstigeren Preisen ein frisches Kugeleis zu holen. Manchmal folgen sie einander regelrecht auf dem Fuße, alle drei mit dem gleichen Angebot.

Es muss, zumindest für Kandidat Eins, ein schlechtes Geschäft sein. Recht athletisch, sicherlich nett, aber ca. Mitte vierzig und nicht auffallend interessant tritt er an gegen Kandidat Zwei, irgendwo zwischen sechzehn und achtzehn vielleicht, recht sportlich, braungebrannt aber langweilig und ein bisschen zu aufgeblasen, und Kandidat Drei, ca. gleiches Alter und auf dem Wege zum Prince Charming von Binz.
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Regentanz

Ein Sommertag in Binz. Notfall-Café-Besuch, Blick auf die stürmische Ostsee im strömenden Regen. Für die Kinder gibt es Vanilleeis mit Himbeeren.
Nach dem Essen prasselt der Regen noch wilder, alle Plätze unter der noch dichten Caféhaus-Markise sind besetzt. Für die Kinder wird es auf den Stühlen langweilig.
Zwischen den Markisen rinnt der Regen in Sturzbächen herunter. Die Caféhaus-Gäste suchen nach trockenen Plätzen mit gutem Blick – nicht auf die Ostsee, sondern auf das besondere Spektakel:

Genau unter den Sturzbächen der Markise steht ein kleines, aufgedrehtes Mädchen und blickt lachend in den Himmel. Rosa Gummistiefel, Matschhose bis unters Kinn, mit einem kleinen Plastikboot und einem Eimerchen in den Händen, sie stampft und spritzt und strahlt vor Freude über den riesigen Badespaß. Ihr großer Bruder gesellt sich quietschend dazu.

Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung. Leider war der Fotoapparat im Hotel…

Arbeitstitel

Neulich auf einer politischen Veranstaltung, es geht eigentlich um das SPD-Grundsatzprogramm, Kapitalismus, Demokratie und Globalisierung. Im Diskussionsteil stellt jemand eine Frage zu Tendenzen in anderen EU-Ländern und zielt besonders auf Frankreich ab. Der beantwortende Professor bleibt vage.
Meldung: „Ich würde hier gern einhaken und einige Ergänzungen machen – ich bin Frankreichwissenschaftlerin…“
Alle Blicke im Saal schwenken um – und das Publikum hört interessiert zu.

Was für ein gutes Gefühl, wenn der eigene Abschluss auch einmal „offiziell“ Sinn macht!

Glaube, Liebe, Hoffnung

(… oder der immer wiederkehrende Traum von einer besseren Welt)

Wer einen mit unerschöpflicher Neugier auf die Welt ausgestatteten Dreieinhalbjährigen zu Hause hat, dem stellen sich die Fragen, die die Welt verändern, täglich neu, und provozieren immer wieder das eigene gesellschaftlich-ökologisch-politisch-gesundheitlich-und was-nicht-alles-korrekte Bewusstsein.
Wir kaufen nun noch überzeugter Biowurst und -fleisch, weil sich dann der Frageblock „Mama, was essen wir da gerade für ein Tier?“, „Maman, qu’est-ce qu’il a mangé, lui?“ (Was hat dieses Rind gegessen?), „Papa, darf man Tiere schlachten?“, … doch mit einem zumindest besseren Gewissen beantworten lässt.
Zumindest bei Lebensmitteln achten wir mehr und mehr auf Siegel wie TransFair und Co., die Vorstellung von auf verseuchten Plantagen arbeitenden Kindern ist nämlich noch viel unerträglicher, wenn man selbst welche hat.
Aber wie unzulänglich „Glaube, Liebe, Hoffnung“ weiterlesen

Die große Frage

"Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Familie hat in seinem Gutachten über Gerechtigkeit (2002) betont, dass das Engagement von Eltern für Kinder bei aller persönlichen Freude, die Kinder ihren Eltern bedeuten, für die Gesellschaft eine Vielzahl positiver externer Effekte (…) mit sich bringt. Diese positiven externen Effekte stellen die wichtigsten Elemente der Zukunftssicherung einer Gesellschaft dar.
Die Zukunftssicherung unserer Gesellschaft wird aber unter einer ökonomischen Perspektive individuell für die jungen Erwachsenen negativ sanktioniert, was in Relation zu denjenigen, die sich nicht für Kinder entscheiden, extrem unfair ist.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob „Die große Frage“ weiterlesen

Dreizwanzig

Wer war schon mal im Ferienzeltlager? Ich bin früher jeden Sommer mitgefahren, habe mit acht anderen Kindern in selbst gezimmerten, mit Stroh gefüllten Holzkästenriesenbetten ölsardinenartig sortiert geschlafen, Gruselgeschichten erzählt, Heimweh- und später dann Liebesbriefe geschrieben,… Hach ja.

Und da ich jetzt nicht mehr so oft ins Zeltlager fahre, habe ich mir das Urlaubsfeeling quasi nach Hause geholt. Man nehme: Zwei Kinder, einen Mann und eine Katze, packe diese in ein doppelt großes Doppelbett (140cm+180cm nebeneinander gebaut ergibt eine definitiv ausreichende Liegefläche 😉 ), lege sich irgendwo dazwischen und lausche beruhigt den nächtlichen Atemgeräuschen der schlafenden Meute.

Nun müssten unsere Kinder nur auch tatsächlich noch beruhigende Atemgeräusche von sich geben (und nicht dieses furchtbare Bronchitisquietschen und -husten), dann wäre die Idylle perfekt..

Dornröschen

… und sie stach sich an einer Spindel und fiel in einen hundertjährigen Schlaf.

Manchmal fühle ich mich hier wie in einem Dornröschenschloss, mit meinem wuchernden Knöterich auf dem Balkon und den vielen Kinderbüchern überall verteilt. Als ob mir der Knöterich auch alle Gehirnwindungen zuwucherte und keinen Platz mehr ließe für Themen jenseits der Märchen- und Windelfront. Ich habe eigentlich keinen Grund mich darüber zu beklagen:
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Erster My

Meinen ersten Wasserwerfer sah ich mit dreizehn oder vierzehn, an einem Dienstag jedenfalls, als ich angeblich mit Freunden im Kino und eigentlich mit anderen Freunden in Kreuzberg war. ‚Bildet Ketten‘ war ein wichtiger Satz, ‚kein Gesicht zeigen‘, ‚vermummen‘. Aufregend war das, und immer war ich darauf bedacht zur richtigen Zeit davonzukommen.
Nun, wieder an einem Dienstag, war ich seit langem mal wieder in Kreuzberg. Unglaublich aber wahr – allen jugendlichen Verrücktheiten und Überzeugungen zum Trotz zum ersten Mal an einem ersten Mai. Myfest mit Kindern, Kinderwagen, Babytrage und Ehemann, bunten Luftballons, Zuckerwatte und Liebesäpfeln.
Der Tagesspiegel kommentierte am Folgetag:

Auf Kreuzbergs Straßen waren tagsüber mehr Kinderwagen zu sehen als Polizei-Wannen.

Leider widerlegen die Geburtenzahlen hierzulande wohl doch die daraus leichtfertig ableitbare Überlegung eines späten Triumphes von ‚Make love, not war’…

Babel

Müde Eltern, viel zu wache, nervende Kinder. Augenrollen auf der einen, Quietschen auf der anderen Seite des Tisches.
Söhnchens Brötchen fällt runter; nach dem Aufheben ist irgendwo eine Mini-Staubfluse dran.
Mama, da ist Staub auf meinem Brötchen! MACH DAS WEEEEGGGGG!!!
Tu peux me le dire en frc?
Maman, tu peux… aber du sprichst doch auch manchmal Deutsch!
Mais pas avec toi! Je te parle toujours en frc.
Warum denn?
Parce que je voudrais que tu comprennes les deux langues. Tu te rappelles nos amis en France? Ben, ils ne parlent pas allemand, et pour pouvoir communiquer avec eux, tu dois pouvoir parler frc. Ou p.ex. quand nous allons en France, pour les vacances: les enfants là-bas ne comprennent pas forcément l’allemand.. et tu veux quand-même pouvoir jouer avec eux, leur parler,..?!

Söhnchen, genervt grinsend:
Aber ich KANN doch französisch sprechen..!

(Den Krümel auf dem Brötchen – oder was immer das war – hatte der gute Göttergatte während dieser sozusagen metasprachlichen Familiendiskussion dann übrigens unauffällig entfernt..)